Antrag: Garantiert mobil: Mit Niedersächsischer Mobilitätsgarantie Zugang für alle Menschen zu einem verlässlichen, regelmäßigen und bezahlbaren ÖPNV schaffen!

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Obwohl der Verkehr im Kampf gegen CO2 eine Hauptrolle spielt und er der zweitwichtigste Sektor beim Klimaschutz ist, stagnieren die Emissionen seit Jahrzehnten auf hohem Niveau. Doch jetzt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das kommenden Generationen ein Recht auf nachhaltige Klimapolitik einräumt, gilt: Der Verkehr muss seine CO2-Emissionen deutlich reduzieren – und zwar um 40 Prozent bis 2030. Das lässt sich nur mit einer Verkehrsverlagerung hin zu ökologischen Verkehrsträgern schaffen. Der Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist für die Mobilitätswende eine wichtige Stellschraube. Die Menschen davon zu überzeugen, statt des Autos Bus und Bahn zu nutzen, gelingt jedoch nur, wenn das ÖPNV-Angebot attraktiv ist, und Busse und Bahnen regelmäßig, verlässlich und bis in die späten Abendstunden, gerade und insbesondere auch in den ländlichen Regionen, fahren. Die Mobilitätsverhältnisse in der Stadt und auf dem Land unterscheiden sich oft erheblich voneinander. Während in den Städten neue Mobilitätsdienste entstehen und das Angebot bei Bussen und Bahnen i.d.R. ausgebaut wird, wird der öffentliche Nahverkehr auf dem Land immer weiter ausgedünnt, sodass viele Menschen abhängig vom eigenen Auto sind. Neben den Klimaschutzaspekten ist ein qualitativ guter öffentlicher Personennahverkehr im Zusammenspiel mit anderen Verkehrsträgern wie beispielsweise dem Fahrrad auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Lebensqualität aller Menschen in Niedersachsen. Eine Niedersächsische Mobilitätsgarantie trägt auch dem demografischen Wandel Rechnung.

Wer kein Auto fahren will oder sich kein Auto leisten kann, steht vor großen Problemen. Eine Mobilitätsgarantie ermöglicht hingegen Menschen auch in ländlichen Regionen den Zugang zu bezahlbarer, zuverlässiger und nachhaltiger Mobilität. Vielen Menschen steht gar kein Auto zur Verfügung. Aber genau diese Menschen müssen einen Anspruch auf garantierte Teilhabe am Leben durch geeignete Mobilitätsformen haben. Unser Ziel muss es sein, den öffentlichen Nahverkehr deutlich auszubauen und attraktiv und verlässlich zu gestalten. Das ist die Grundvoraussetzung um das Umsteigen auf alternative Verkehrsmittel zu erleichtern.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. eine klimaschutzgerechte Mobilität mit einer verbindlichen Mobilitätsgarantie für alle Menschen als Teil der Daseinsvorsorge zum Ziel niedersächsischer Verkehrspolitik zu erklären;
  2. darauf hinzuwirken, dass alle Orte in Niedersachsen von 5 Uhr früh bis Mitternacht werktags stündlich und an Wochenenden mindestens zweistündlich an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sind – mit Bus, Bahn sowie ÖPNV Sonderformen wie Rufbussystemen, Anrufsammeltaxis, Ride-Sharing-Modelle und anderen neuen Mobilitätsformen. Dabei soll auch eine entsprechende Fahrradförderung mit dem ÖPNV verknüpft werden, indem Fahrradabstellanlagen sowie die verlässliche kostenlose Fahrradmitnahme in Regionalbahnen, aber auch in Bussen förderfähig unterstützt werden. Der zügige Ausbau der Radwegeinfrastruktur ist voranzutreiben. Car Sharing Angebote auch in ländlichen Regionen sind ebenso Teil einer Mobilitätsgarantie wie auch ein Ausbau der Infrastrukturen von Ladesäulen für die Elektromobilität. Die Weiterentwicklung von Mobilitätsstationen für die Bündelung verschiedener Mobilitätsangebote ist in den Prozess zu integrieren;
  3.  mit 4 Modellregionen/Landkreisen jeweils ein Pilotprojekt zur Mobilitätsgarantie mit umfassender Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sowie wissenschaftlicher Begleitung zu initiieren. Die geplanten Maßnahmen aus Punkt 2 sind dabei entsprechend der notwendigen Mobilitätsangeboten in den Modellregionen/Landkreisen anzupassen. Die wissenschaftliche Begleitung der Pilotprojekte soll:
    • eine Mengen-Kosten-Kalkulation für eine Mobilitätsgarantie im Sinne von Punkt 2 in Niedersachsen anhand der Pilotprojekte durchführen,
    • untersuchen und aufzeigen, wie eine solche Mobilitätsgarantie in allen niedersächsischen Landkreisen in Folge der Pilotprojekte umgesetzt werden kann,
    • prüfen, welche Maßnahmen (Änderung NNVG, Festschreibung von Bedienungsstandards, Festschreibung des ÖPNV als Pflichtaufgabe, Bereitstellung und Optimierung von Busspuren, Optimierung von Haltestellen etc.) dafür ergriffen werden müssen.
  4. gezielt Fördermöglichkeiten und Förderungsnotwendigkeiten für strukturschwache Regionen auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene identifizieren. Prüfung bzw. Lücken aufdecken, wo bestehende Förderprogramme nicht greifen und in Folge durch beispielsweise Bunderatsinitiativen auf die Schließung von Förderlücken zu drängen;
  5. den ÖPNV in Niedersachsen massiv auszubauen und einen Teil der bislang für den Straßenbau eingeplanten Mittel für den ÖPNV (u.a. NGVFG-Mittel) umzuwidmen.

Begründung

Mobilität ist eine wesentliche Grundlage für die Teilhabe am öffentlichen Leben. Der Mobilitätsalltag in ländlichen Räumen ist meist PKW-dominiert, das Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs meist unzureichend. Menschen, die keinen Führerschein besitzen oder sich kein eigenes Auto leisten können oder wollen, sind auf Grund des mangelhaften ÖPNV-Angebots in ihrer Mobilität erheblich eingeschränkt. Wer altersbedingt schon bzw. noch fahren kann, fährt Auto. Wer nicht selbst fahren kann, greift auf private Fahrdienste zurück: So fahren zum Beispiel Eltern ihre Kinder zum Sport, ins Kino oder Kindergeburtstag oder aber Enkelkinder wiederum Oma und Opa zum Arzt oder Einkaufen. Dieses private Unterstützungssystem sichert zwar eine gewisse Mobilität, jedoch keine Unabhängigkeit und autonome Teilhabe. Der ÖPNV besteht in Niedersachsen weitestgehend aus Schüler*innenverkehren, d.h. faktisch orientieren sich Linienführungen und Fahrplan vor allem am Schüler*innenverkehr. Außerhalb der Schulzeiten, also in den Tagesrandzeiten, am Wochenende oder in den Ferien ist das Angebot sehr dünn oder fehlt gleich ganz. Ein derart schlecht ausgebauter ÖPNV ist keine Alternative zum eigenen Auto.

Aus sozial- und aus klimaschutzpolitischen Gründen braucht es daher in der Verkehrspolitik einen Paradigmenwechsel: Mobilität für alle zu ermöglichen, und zwar unabhängig von Wohnort, Alter und Einkommen, muss Teil einer garantierten Daseinsvorsorge werden. Ein gutes ÖPNV-Angebot ist nicht nur ökologisch zwingend notwendig. Ein guter öffentlicher Nahverkehr ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Menschen, denen nicht täglich ein Auto zur Verfügung steht, sollen genauso am Leben teilhaben können, wie jene mit Auto. Mobilität für alle kann mithilfe einer Mobilitätsgarantie gelingen. Schon heute gewähren einige Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg, aber auch Mobilitätsverbände wie der ADAC eine Mobilitätsgarantie. Wenn Bus oder Bahn ausfallen, wird entsprechend dieser bisherigen Mobilitätsgarantie das weitere Fortkommen für die Fahrgäste gewährleistet. In vielen Regionen Niedersachsens fällt der Bus aber nicht nur aus, sondern er fährt erst gar nicht oder aber nur sehr selten.

Das bislang wenig ansprechende und über Jahrzehnte ausgedünnte ÖPNV-Angebot hierzulande überzeugt bislang zu wenig Menschen Bus und Bahn zu fahren, der ÖPNV-Anteil am Modal Split ist gering: Mit 7 Prozent bildet Niedersachsen bei der Nutzung des ÖPNV bundesweit das Schlusslicht (MiD 2017). Eine Mobilitätsgarantie schafft hingegen die Voraussetzung dafür, dass alle Bürgerinnen und Bürger auf einen regelmäßigen und zuverlässigen Mobilitätsservice zugreifen können – und das mehrmals täglich und auch bis in die Abendstunden, in den Schulferien sowie an den Wochenenden.

Für den Paradigmenwechsel ist eine strukturelle Neuaufstellung des ÖPNV in Verbindung mit anderen Angeboten wie beispielsweise dem Radverkehr notwendig. Den Nahverkehr als freiwillige Aufgabe anzubieten, ist angesichts des Klimawandels nicht mehr zeitgemäß. Die Qualität des ÖPNV darf nicht länger von der finanziellen Lage der jeweiligen Kommune abhängen. Damit der ländliche Raum nicht abgehängt wird, brauchen wir neue Konzepte und Angebote für den Pendelverkehr zwischen dem ländlichen Räumen und den Städten sowie Ballungszentren in Niedersachsen.

Landesweit haben die Menschen ein Recht darauf, gleiche Verhältnisse beim Nahverkehr vorzufinden und nutzen zu können – unabhängig davon ob sie in reichen oder armen Kommunen leben. Auch Niedersachsen braucht die stufenweise Umstellung des ÖPNV von der freiwilligen Aufgabe hin zur kommunalen Pflichtaufgabe. Nur so kann sichergestellt sein, dass im ländlichen Raum eine gewisse Anzahl täglicher Busverbindungen angeboten werden kann. Genau diesen Weg geht aktuell Rheinland-Pfalz und schreibt als erstes Bundesland den Öffentlichen Nahverkehr als Pflichtaufgabe in Verbindung mit einem Mindestangebot fest. Das novellierte Nahverkehrsgesetz sieht vor, den gesamten öffentlichen Busverkehr im Nahverkehr schrittweise zur kommunalen Pflichtaufgabe werden zu lassen.

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